Weit-Her schreckte aus dem Schlaf und es bedurfte eines Augenblicks, bis er sich erinnerte, wo er war. Er rieb sich die Augen, in welchen noch die letzten Bildfetzen eines sonderbaren Traumes hingen: Ein Ork und eine Elfe hatten in der Brandung getanzt und gelacht. Dann war ein Schatten über sie gefallen und sie liefen davon. Während des Laufens verzerrten sie sich zu einem gigantischen, schwarzen Krater bis zuletzt ihr Lachen aus den Untiefen drang und aus dem Frohsinn ihrer so unterschiedlichen Stimmen wurde auf bizarre Weise Hohn und Wahn, die sich dröhnend vermengten und in einem Donnerhall ausklangen, der schließlich die Brücke zur Wirklichkeit schlug und den Träumenden aus seinem Strohbett warf.
Eines der Pferde wurde ob des nahenden Unwetters unruhig, wieherte schrill, schnaubte und scharrte temperamentvoll mit den Hufen über den kühlen Boden. Die anderen beiden Tiere dösten gelassen in ihren Boxen. Weit-Her erhob sich schwerfällig. Seine schlanken Glieder waren wegen des schlichten Nachtlagers steif geworden. Er wankte zur Stalltür und stieß den oberen Flügel auf. Eine warme Brise fuhr ihm ins heudurchsetzte Haar - einer jener Winde, die spöttisch vom Sturm flüsterten und feige in sich zerfielen, kurz, bevor er niederbrach. Auf dem nachtschwarzen Himmel war kein Stern zu sehen und so erahnte das menschliche Auge die gewaltigen Wolkentürme, die sich in der kurzen Zeit über die See gewölbt hatten. Vor dem fernen Wetterleuchten ließen sich die Giebel der gegenüberliegenden Dächer als schwarze Schemen ausmachen.
Weit-Her schloss die Tür, sammelte seinen Beutel ein und schlich sich müde in die Küche der Wirtsstube. Er hatte gehofft, Rosie, die Tochter des Wirtes, welcher er seine Herberge verdankte, dort zu treffen. Doch sie war wohl schon zu Bett gegangen. Der Dichter war unschlüssig. Nichts hielt ihn mehr an diesem Ort, doch bei Nacht und Unwetter den fremden Ort zu verlassen, verlockte ihn kaum. So kämpfte er beherzt mit seiner Erscheinung (über den ein oder anderen Strohhalm wollen wir hinwegsehen) und betrat erneut die Gaststube.
Es mochte bereits nach Mitternacht sein und die meisten Gäste hatten ihren Weg nach Hause gefunden (oder zumindest bis zur nächsten Pferdetränke), an der Feuerstelle glimmte nur noch eine leise knisternde Glut, das Gelächter und das Rollen der Würfel war verstummt, nur der Qualm und der elende Gestank hielten sich hartnäckig und legten einen matten, zwielichtigen Schleier in den Raum. Die Elfe war noch da und auch der Ork. An seiner Seite stand ein Mensch, der mehr tot, denn lebendig aussah und der den Met, welcher der erschöpfte Wirt ihm reichte, mehr, als nötig zu haben schien (ganz ehrlich? ein Fass hätte nicht gereicht, dem Fremden wieder Farbe ein zu flößen). Weit-Her, der sich keinen Met leisten konnte (und bei dem Gedanken an das Weingepansch schon so bleich wurde, wie der Wanderer an der Theke) ließ sich nahe dem Eingang nieder, wo durch die Ritzen im Holz ein kühler Lufthauch drang, nahm seine Drehleier aus dem Beutel und stimmte leise eine traurige Melodie an (ja, das Lied war gestohlen, doch Weit-Her hatte einen guten Geschmack was sein Diebesgut anging und er war auch noch nie einer Gaststätte verwiesen worden, wenn er jene gesungen hatte - was erstaunlicher Weise durchaus geschehen konnte, wenn er seine eigenen Kunstwerke anstimmte) :
“Wie vil mir eren ie geschach
durch fürsten, künigin gefach
und was ich freuden ie gesach,
das büess ich als under ainem dach.
mein ungemach
der hat ain langes ende.
Vil guetter witz der gieng mir not,
seid ich muess sorgen umb das brot,
darzue so wirt mir vil gedrot
und tröst mich niena mündlin rot.
den ich e bot,
die lassen mich ellende.
Wellend ich gugg, so hindert mich
köstlicher ziere sinder.
der ich e pflag, da für ich sich
neur kelber, gaiss, bock, rinder
vnd knospot leut, swarz, hässelich,
vast rotzig gen dem winder;...“
(Oswald von Wolkenstein, Durch Barbarei - Arabia)