"Dokumentarfilm "Religulous"
Schwule Moslems, bizarre Jesus-Darsteller, fromme Trucker - sie alle nimmt Bill Maher kräftig ins Gebet. Der US-Komiker macht sich in dem Dokumentarfilm "Religulous" gnadenlos über die Religionen dieser Welt lustig.
Der arme John Westcott hat gegen Bill Maher keine Chance. Der junge Evangelikalen-Pastor aus Florida tut sein bestes, um zu erklären, wie aus jedem Homosexuellen mit etwas gutem Willen und der unendlichen Kraft des Glaubens ein braver Heterosexueller werden kann, bei ihm selbst habe es ja auch geklappt. Doch Maher muss nur das Offensichtliche entgegnen - und Westcotts Argumentation zerbricht: Mit seiner sanften Art, dem gestählten Oberkörper und der perfekt sitzenden Gel-Frisur wäre Westcott wohl immer noch der Star in jeder Schwulenbar, oder? Als die beiden sich zum Abschied umarmen (Westcotts Idee...), sagt Maher noch: "Wow, ist das etwa eine Erektion?"
Bill Maher ist gnadenlos, wenn es um die Demontage seiner Gesprächspartner geht. Mit seiner trockenen, sarkastischen Art hat er es in den USA zum Star-Komiker mit eigener Late-Night-Show gebracht; in dem Dokumentarfilm "Religulous" nutzt er sie, um die Religionen dieser Welt zu zerlegen. Christentum, Islam, Judentum und Scientology sind für ihn lächerlich - aber zu mächtig. Die Gruppe der Ungläubigen dagegen, die laut Maher immerhin 16 Prozent der US-Bevölkerung umfasst, ist in seinen Augen vernünftig - aber völlig unterrepräsentiert.
Er habe ja nichts Böses im Sinn, sagt Maher, er wolle nur diesen 16 Prozent eine Stimme geben: ihnen und ihrer Skepsis. Man werde ja noch mal fragen dürfen.
Und etwas anderes als fragen tut Maher eigentlich auch nicht. Unter der Regie von Larry Charles ("Borat") reist er durch die Welt und befragt alle möglichen, tja, Experten, warum sie denn nicht einsehen, dass ihre jeweilige Religion eigentlich eine ziemlich alberne Sache sei.
Und gegen den scharfen Witz des Intellektuellen von der Ostküste sind die meisten machtlos: die Trucker, die in einer Art Wohnwagenkirche am Highway während der Kaffeepause den Herrn preisen; der fromme Jesus-Darsteller, der sich in einem absurden christlichen Vergnügungspark in Orlando mehrmals täglich ans Kreuz nageln lässt; die zwei schwulen Moslems, die einsam in einer Bar in Amsterdam sitzen; der verrückte Rabbi, der den Holocaust leugnet; oder der Provinzpolitiker aus Arkansas, ein Demokrat, der sich nicht entscheiden mag, ob er an Evolution oder an die Schöpfung glaubt.
Sie alle lässt Maher einfach nur reden und ins Messer laufen. Es bedarf immer nur der richtigen Stichworte, und schon machen sich alle ganz von allein lächerlich.
Daraus ergibt sich ein teilweise extrem witziger, kurzweiliger Dokumentarfilm. Maher ist feinsinniger und sympathischer als Brachial-Aufklärer Michael Moore, aber genauso furchtlos und entschlossen.
Tiefgläubige werden das verständlicherweise nicht sehr amüsant und auch nicht überzeugend finden. Denn ernstzunehmende Theologen lässt Maher kaum zu Wort kommen, und wenn er es doch kurz tut, wie bei zwei hochrangigen Vatikan-Priestern, dann erweisen diese sich als vernünftige, absolut rational argumentierende Gesprächspartner, die eben auch nichts von blindem Glauben halten, sehr viel aber von aufgeklärter Religiosität.
"Religulous" wird niemanden bekehren und mag seinen Feindbildern gegenüber nicht immer fair sein, den Spaß mindert das nicht. Und immerhin werden Buddhisten und Hindus weitgehend verschont.
Vielleicht gibt es ja bald einen zweiten Teil.
Von Daniel Sander
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Quelle:
http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,616814,00.html (28.04.10)